Interview Wolinski: „Erfolge werden nicht immer an Pokalen gemessen“

12. April 2022 · Top-News · von: mag

Im Oktober 2021 beging Barbara - genannt Bärbel - Wolinski ihr 20-jähriges HFV-Jubiläum. Aber Grund zur großen Feier oder zum Kürzertreten ist das für sie sicher nicht. Im Gegenteil: Selbst dieses Jubiläumsinterview musste aufgrund des vollen Terminkalenders noch etwas warten. Jetzt blickt der HESSEN-FUSSBALL im Gespräch mit Wolinski zurück auf ihre ersten Tage beim HFV, die aktuellen Herausforderungen der Gegenwart und Pläne für die Zukunft.

Foto: HFV

Hallo Frau Wolinski, seit über 20 Jahren sind Sie nun für den Hessischen Fußball-Verband tätig. Können Sie sich noch an Ihren ersten Tag erinnern?
Ich habe am 1. Oktober beim HFV als Verbandssportlehrerin begonnen. Damals stand der U18-Länderpokal an. Michael Schäfer (jetzt HFV-Abteilungsleiter Jugend, die Red.) hat die Mannschaft trainiert und war mit dem Team beim Länderpokal. So konnte ich Duisburg, das Bootshaus, Michael und die Mädels kennenlernen und die ganze Atmosphäre aufsaugen. Der zweite Platz trug dann auch zu einem gelungenen Start bei.

Können Sie unseren Lesern etwas zu Ihrem praktischen und theoretischen Hintergrund berichten?
Ich habe in Köln Diplom-Sport mit Schwerpunkt Leistungssport studiert und in dieser Zeit bei Grün-Weiss Brauweiler Fußball gespielt. Das ist schon so lange her, es gab noch keine Bundesliga und anfangs auch keine Regionalliga. Wir haben in der Regionalliga West gegen Mannschaften wie KBC Duisburg und Bergisch Gladbach und damit praktisch gegen die ‚ganze Nationalmannschaft‘ gespielt. Das war für mich eine große Herausforderung, die ich gerne angenommen habe. Leider sind wir im ersten Regionalligajahr abgestiegen. Trotzdem denke ich gerne daran zurück.
Während des Studiums habe ich meine A- und B-Lizenz absolviert und gegen Ende auch die höchste Lizenz ‚Fußball-Lehrer‘. In dieser Zeit habe ich gemeinsam mit einer Kollegin beim Fußballverband Mittelrhein den Mädchenbereich - zuerst ehrenamtlich und dann auf Honorarbasis - übernommen. Ich bin mit Fußball groß geworden und daher war es nach dem Studium auch mein größter Wunsch, als Verbandssportlehrerin in der Talentsichtung und Talentförderung arbeiten zu können.

Welche Situation haben Sie damals im Vergleich zu heute beim HFV vorgefunden?
Es hat sich eine ganze Menge verändert. Alleine die Aufgabenbereiche und Anzahl der Kolleg*innen haben sich erweitert. Das Mädchensichtungssystem haben wir von Jahr zu Jahr angepasst und erweitert. Der Bereich des Torwarttrainings ist vor über zehn Jahren neu dazugekommen. Die Ansprüche an die Trainerqualifikation sind ebenfalls gestiegen und damit wurde auch das Niveau der Mannschaften angehoben.
In meinem dritten Jahr haben wir die Mädchencamps neu installiert. Das lief am Anfang etwas schleppend, aber seit 15 Jahren sind unsere Camps sehr beliebt und ausgebucht. Als Betreuerinnen setzen wir hier sehr häufig ehemalige Auswahlspielerinnen mit Lizenz ein.

Wie sieht Ihr Alltag aus und was sehen Sie als Ihre wichtigste Aufgabe als Verbandssportlehrerin an?

Das ist sehr unterschiedlich: Im Rahmen der Ausbildung bin ich ganztägig beschäftigt. Wenn dann noch Auswahlmaßnahmen hinzukommen, bin ich bis zum Abend voll ausgelastet. Anfangs war ich noch für alle Auswahlmannschaften zuständig, das ist nun seit rund zehn Jahren anders aufgeteilt. Prozentual nehmen Talentsichtung und -förderung mehr als 50 Prozent ein. Mit der Trainerausbildung kommt auch noch eine Menge hinzu. Dazu kommen noch diverse Sitzungen des Jugend- sowie des Frauen- und Mädchenausschusses, außerdem noch Sichtungen am Wochenende. Dazu kommen noch Trainerfortbildungen der Regionalauswahltrainer. Es ist ein sehr interessanter Job, der mir auch nach 20 Jahren immer noch sehr viel Spaß macht. Am liebsten stehe ich immer noch auf dem Platz und gebe Tipps, helfe und coache.

Wie hat sich der Frauenfußball in Ihrer Amtszeit generell verändert?
Zu Beginn machten in der Hochburg Hessen der FFC und der FSV Frankfurt die Deutsche Meisterschaft unter sich aus. Das hat sich sehr verändert. Mittlerweile gibt es mehrere Teams in Deutschland, die um den Meistertitel kämpfen.

Was sind Ihre größten Erfolge mit dem HFV?
Die offensichtlichen Erfolge sind natürlich die beim Länderpokal, besonders, wenn diese überraschend zustande kommen, durch Teamgeist und eine Top-Leistung. Da kann man wirklich sagen, dass wir eine sehr gute Talentförderung in Hessen haben. Aber Erfolge werden nicht immer an Pokalen gemessen. Es gibt auch andere Situationen, zum Beispiel, wenn ich nach 15 Jahren noch immer Kontakt zu Spielerinnen habe, mit denen ich mich austausche und die ich zum Beispiel für die Trainer-Lizenz begeistern kann. Diese Begeisterung für das Traineramt zu entfachen ist nicht einfach, aber es ist eines meiner weiteren Ziele, so dass auch an dieser Stelle für Nachwuchs gesorgt ist. Es ist auch sehr interessant, spielerische Werdegänge der Mädchen bzw. Frauen von klein auf zu verfolgen.

Wie sehen Sie die hessischen Auswahlen im Vergleich zu anderen Landesverbänden?
Der HFV zählt zu den stärksten Landesverbänden in der weiblichen Talentförderung Je älter die Mädchen werden, desto mehr kommt es aber auf die Förderung im Verein und die Eigeninitiative an.

Was kann man gegen die rückgängige Zahl von Frauen und Mädchen im Fußball unternehmen?

Die Zahlen im Frauen- und Mädchenbereich sind auch schon vor der „Corona-Zeit“ rückläufig gewesen. In der Vergangenheit war es so, dass nach einem großen Fußballturnier, vor allem mit einem Erfolg der deutschen Mannschaft, die Zahlen der Spielerinnen sprunghaft angestiegen sind. Ich hoffe, dass die diesjährigen großen Turniere im Frauen- und Männerbereich den jungen Mädchen einen Schub geben, sich einem Verein anzuschließen. Wichtig ist, dass wir flankierend dazu Trainer*innen ausbilden, die dann die hoffentlich zahlreich erscheinenden Mädchen trainieren können. Mit den ersten Online-Veranstaltungen haben wir bereits begonnen und werden sie in Zukunft weiterführen und ausbauen. Der Spaß und die Spielfreude müssen wieder im Vordergrund stehen.

Was haben Sie für die Zukunft des hessischen Fußballs geplant?

Der DFB möchte die Talentförderung grundlegend neu strukturieren bzw. frühzeitig eingreifen. Das ist für mich nicht immer nachzuvollziehen, aber wir werden sehen wohin die Entwicklung geht. Zahlreiche Veränderungen werden uns in den nächsten Jahren begleiten. Jeder Landesverband hat ja nicht nur die Aufgabe, die Elite zu fördern, sondern ist auch für den Breitenfußball zuständig. In den höheren Altersstufen wird sich einiges verändern und in diesem Zuge müssen wir überlegen, was wir zusätzlich anbieten wollen und können.

Wir denken auch immer über unsere Struktur nach, zum Beispiel im Bereich Torwarttraining. Da hoffe ich, dass wir unser Angebot erweitern können, indem wir Torwart-Camps anbieten.
Vergleichsspiele mit U14 oder U16 gegen ausländische Teams fände ich auch interessant, sowohl aus fußballerischer, als auch aus kultureller Hinsicht. Ich war beispielsweise vor mehreren Jahren mit der Stiftung „ Auf Ballhöhe“  in Namibia. Schwerpunktmäßig trainierten wir mit angehenden Trainern auf C- Lizenz-Ebene. Das war eine wunderschöne Zeit: Ein anderes Land kennenzulernen, unter ganz einfachen Bedingungen Fußball zu spielen und unsere Erfahrungen als Trainer-innen weiter zu geben.

Wie sehen Sie Ihre persönliche Zukunft?
Als 2011 die Frauen-WM in Deutschland und im Vorfeld die U20-WM auch in Deutschland war, hatten die Verbandssportlehrer*innen die Möglichkeit, als Sichter über ganz Deutschland verteilt zu agieren. Ich war mit Kolleg*innen in Bochum und auch beim Endspiel. Das war eine tolle Erfahrung, das aus dieser Sicht zu erleben. Es wäre schön, wenn wir noch einmal diese Möglichkeit hätten.
Auch meine privaten Wünsche gehen in diese Richtung: Ich wäre gerne bei den nächsten großen Turnieren als Zuschauerin dabei und so Corona will, möchte ich auch möglichst viel von der Welt erleben, Afrika oder andere Erdteile bereisen. Frühzeitig in Rente gehen kommt nicht infrage. Fußball ist mein Leben und so wird es auch bleiben.