Vorbild auf Krücken: Brych bei Schlappekicker-Aktion in Frankfurt zu Gast

29. November 2023 · Top-News · von: Jürgen Streicher (Frankfurter Rundschau)

Felix Brych erleidet beim Bundesligaspiel der Eintracht einen Kreuzbandriss. Trotzdem erscheint der Star-Referee zum „Tag der Jungschiedsrichter*innen“ in Frankfurt.

Stargast Dr. Felix Brych mit Ehefrau Andrea (Mitte) und (v.l.) Harald Stenger (stellv. Vorsitzender Schlappekicker-Aktion), Thorsten Schenk (HFV-Referent für Gesellschaftliche Verantwortung), HFV-Schatzmeister Jörn Metzler, DFB-Lehrwart Lutz Wagner, Christof Günsch (HFV-Referent Schiedsrichter) und der ehemalige HFV-Geschäftsführer Gerhard Hilgers. Foto: privat

Zum Aufgeben war er nicht bereit. Das war nie eine Option in seiner Karriere in den legendärsten Fußballstadien dieser Welt. Der Stargast kommt 22 Minuten zu spät an diesem Sonntag in Frankfurt. Vier Minuten vor dem geplanten Beginn in der Schule des Landessportbundes Hessen in der Otto-Fleck-Schneise hatte er zuvor mit der Whatsapp-Nachricht „Komme gleich“ durchgegeben, dass man auch in der Krise mit ihm rechnen kann.

Die kleine Verspätung sieht man ihm nach, alle sind beeindruckt, dass er überhaupt kommt nach dem Desaster vom Vorabend. Ein leichtes Umknicken auf feuchtem Geläuf im Stadion nebenan, es zwickt im Knie, aber er hält durch bis zum Pausenpfiff. Dann ist Schluss. Der Verdacht auf Kreuzbandriss verhärtet sich – zu Beginn der zweiten Halbzeit der Partie der Eintracht gegen Stuttgart bleibt Felix Brych in der Kabine. Erstmals nach dreihundertdreiundvierzigeinhalb Spielen in der Bundesliga.

Ausgerechnet in dem Spiel, das ihn zum Rekordmann macht. Am nächsten Morgen kommt er auf Krücken, der Kreuzbandriss inzwischen in der Uni-Klinik bestätigt. Brych wird mit Beifall von denen begrüßt, für die er als Motivator gekommen ist.

Für 50 Jungs und Mädchen aus der Region, die zum „Tag der Jungschiedsrichter*innen“ des Hessischen Fußballverbandes (HFV) und der Schlappekicker-Aktion gekommen sind, steht der zweimalige Weltschiedsrichter für den Traum von einer großen Karriere. Auch sie wollen einmal mit den Profis aus dem Tunnel einer weltberühmten Arena unter Fangesängen einlaufen. In Barcelona, Liverpool, Mailand oder wo auch immer. Brych hat in der großen Fußballwelt die „unglaubliche Reise“ erlebt, von der die Jugendlichen im LSB-Konferenzraum träumen und deshalb fasziniert seine Ausführungen verfolgen.

Der Schiedsrichternachwuchs ist hier auf Augenhöhe in einer lockeren Gesprächsrunde, in der man sich duzt. Mit Brych, der WM- und EM-Spiele gepfiffen hat, das Finale der Champions League, bei Olympia dabei war. Der mit einem Phantomtor in die Bundesliga-Geschichte eingegangen ist und neben dem fast permanenten Aufstieg auch Rückschläge verkraften musste.

Mit dabei ist auch Schiedsrichter-Legende Lutz Wagner, der heute DFB-Lehrwart ist und mitreißende Vorträge mit Videomaterial zur Regelkunde und Schiedsrichter-Psychologie hält. Sowie Thorsten Schenk vom HFV-Lehrstab Schiri-Ausbildung, der mit Rollenspielen das Auftreten beim Eintreffen und auf dem Sportplatz einübt und damit eine erste ganz wichtige Grenze markiert, die gemeistert werden muss. Körpersprache, Ansprache der Spieler:innen, Mimik, Gestik, Selbstvertrauen durch Haltung zeigen. Gegenseitiger Respekt ist eine ganz wichtige Zielmarke.

Unter den Jungs, die als Neulinge im Jugendbereich anfangen und sich durch untere Spielklassen hocharbeiten müssen, sind auch zwei, die im Mai dieses Jahres bei ernsthafter körperlicher Bedrohung durch einen in Rage geratenen Vater an ihre erste große Grenze kamen. „Ihr seid nicht allein“, gibt ihnen HFV-Schatzmeister Jörn Metzler mit auf den Weg und betont: „Wir kümmern uns und machen was für euch in schwierigen Situationen. Unschöne Dinge werden nicht geduldet.“

Gewaltprävention und die Aktion Fair Play in Hessen sind dafür ein wichtiges Thema, sagt Metzler bei der Begrüßung mit Harald Stenger, dem Ex-Sprecher der Nationalmannschaft und stellvertretenden Vorsitzenden der Schlappekicker-Aktion. Die Jungs haben den Zwischenfall im Mai gemeistert, sie sind noch dabei, haben den Mut gezeigt, wieder rauszugehen auf den Platz. Genau das gibt ihnen Felix Brych auch mit auf den Weg und bestärkt sie darin, dass die Freude an ihrem Schiedsrichter-Alltag im Vordergrund stehen soll.

Wer wie Simeon schon in der Gruppenliga pfeift, hat schon einen großen Schritt gemacht. Der 24-Jährige aus Fechenheim gehört bei der Schiedsrichter-Vereinigung Frankfurt zu denen, die sich um den Nachwuchs kümmern. Die rote Trainingsjacke mit Wappen trägt er mit Stolz, er hat „Lust auf die Pfeife“ und begeistert sich für das Spiel. Die nackten Zahlen liefert Lutz Wagner: Rund 53 000 Schiedsrichter:innen pfeifen im Lande, etwa 3700 oberhalb der Kreisebene. Im elitären Zirkel der Bundesliga tummeln sich 24 Schiedsrichter.

Lutz Wagner kennt beide Seiten, nach ganz oben kommen nur die Besten. Die, die es unter allen Umständen können. Nicht nur „beim 3:0 für die Heimmannschaft bei Sonnenschein, auch beim Platzverweis für deren Kapitän in der 5. Spielminute und der Entscheidung für Elfmeter gegen das Heimteam vor großer Kulisse“. Das erzählt Felix Brych mit Nachdruck, und jeder weiß, was gemeint ist.